Problematiken des Brownfield-Ansatzes
1. Abweichungen im Datenmodell und Funktionsumfang
Mit der Integration der CRM-Funktionalitäten in das S/4 gehen tiefgreifende Änderungen im Datenmodell einher. Zentral genutzte Datenbanken des CRM wurden zum grossen Teil massiv umgestellt, um neuen Anforderungen in der SAP System Architektur gerecht zu werden oder sich den bestehenden ERP-Objekten anzupassen. Dabei wechseln teilweise die Schlüsselfelder, z.B. ist in den Vorgangs-Tabellen vielfach statt einer GUID neu eine Kombination aus ID und Vorgangstyp der eindeutige Schlüssel. Andere Tabellen wurden aufgeteilt und ihre Datenfelder den jeweiligen Kopfobjekten angegliedert. Schliesslich wurden auch häufig genutzte Tabellen, z.B. die CRMD_ORDER_INDEX, im Sinne der neuen denormalisierten Datenhaltung ganz abgeschafft.
Somit sind alle Programm-Zugriffe, die auf diesen Tabellen aufbauen, im neuen System obsolet und müssen den veränderten Gegebenheiten angepasst werden. Eine direkte Übernahme der Prozessdaten aus dem Altsystem wird dadurch ebenfalls erschwert und erfordert zusätzliche Mapping- und Transformations-Schritte.
Auch der Funktionsumfang wurde im Zuge der Integration ins S/4 stark überarbeitet. Da in Zukunft für die Verkaufsprozesse die Funktionen des darunterliegenden ERP genutzt werden, wurden alle Sales-relevanten Objekte des CRM nicht übernommen. Die bisher im Verkaufsumfeld genutzten Vorgangstypen (SalesContract, SalesOrder) existieren daher nicht mehr und die zugehörigen Prozesse müssen entweder neu im Service-Bereich oder gleich direkt im ERP-spezifischen Bereich abgebildet werden.
Im Bereich Marketing wurden so gut wie alle Funktionen deaktiviert bzw. entfernt. Die fehlenden Marketingattribute auf dem Geschäftspartner sind dafür nur ein Beispiel.
Dadurch ist eine Umstellung der bestehenden Prozesse auf die neuen Gegebenheiten mit identischer Funktionalität gar nicht direkt möglich und sonst sehr aufwendig und fehleranfällig. Zusätzlich werden bei Massenübernahmen von existierendem Coding grosse Mengen nicht mehr genutzter Altlasten übernommen, die dann unnötigerweise angepasst und korrigiert werden und auf diese Weise zusätzliche Kosten generieren. Ein häufiger Grund dafür ist der folgende Punkt.
2. Fehlende Dokumentation
Viele Firmen scheuen den Aufwand, die bestehenden Prozesse detailliert aufzunehmen und zu beschreiben. Oft wird als Arbeitsgrundlage für die Brownfield-Transformation der Ansatz «Wir übernehmen die Funktionalitäten 1:1» verfolgt, um diese Aufwände einzusparen.
Daraus resultieren für die Umsetzenden als auch für die Tester jedoch folgende Schwierigkeiten:
- Bei der Anpassung von kundeneigenen Prozessschritten müssen nicht mehr existierende Objekte oder Funktionalitäten ersetzt bzw. angepasst werden. Sind diese nicht ausreichend beschrieben, können für das neue System meistens weder die korrekten Einstellungen noch die notwendigen Erweiterungen über Reengineering aus dem bestehenden System eruiert werden. Auch nicht mehr genutzte Code-Abschnitte können so nicht ermittelt werden.
- Ohne Verständnis der fachlichen Grundlage für den Prozess ist auch kein aussagekräftiges Testergebnis der übernommenen Funktionalität erreichbar. Eine Abnahme der jeweiligen neu eingerichteten Funktionen ist somit unmöglich. Zusätzlich kann ohne eine vollständige Übersicht nicht gewährleistet werden, dass alle notwendigen Prozess durch Tests abgedeckt werden.
Aus dieser Problematik folgt, dass in jedem Fall eine umfassende Beschreibung der verwendeten Prozesse der zugehörigen Testfälle benötigt wird und somit ein wichtiges Argument für den Brownfield-Ansatz wegfällt. Im Gegenzug erhalten die Firmen beim Greenfield-Ansatz die Möglichkeit, bestehende Prozesse auf überflüssige Schritte oder neue Digitalisierungsmöglichkeiten zu durchleuchten und die Arbeitsabläufe im Zuge der Migration zu optimieren.
3. Kundenspezifische Einstellungen und Erweiterungen
Im SAP CRM On-Premise existierende Erweiterungsmöglichkeiten stehen im SAP S/4HANA-System teilweise nicht mehr zur Verfügung. Bestehende Entwicklungen in diesem Bereich müssen daher auf neue Technologien portiert werden. Dabei werden bei der «1:1»-Übernahme oft nur die technischen Aspekte untersucht. Ob die betroffenen Arbeitsschritte überhaupt noch notwendig sind oder ob eine Umstellung des Prozesses zur Umgehung möglich ist, wird oft nur bei einer kompletten Neu-Konzeption berücksichtigt.
Zusätzlich müssen Weiterentwicklungen im CRM während der Übernahme-Phase auch in bereits übernommenen Objekten im S/4 nachgezogen werden. Dies führt erstens zu doppeltem Entwicklungs- und Testaufwand und birgt zusätzlich die Gefahr, dass signifikante Anpassungen übersehen und nicht in das neue System übernommen werden. Auch geänderte Customizing-Einstellungen müssten in dieser Zeit regelmässig und zuverlässig in das neu aufgebaute S/4 übernommen werden.